Meine Eltern waren früher die Ausnahme, als sie mit dickem Rucksack und ohne Internet ihre Reisen in die große weite Welt antraten. Mittlerweile, hat sich das Reisen demokratisiert und ist fester Bestandteil der Freizeitgestaltung vieler Menschen geworden. Längst ist das Privileg nicht mehr nur für wenige Auserwählte bestimmt. Mit billigen Fluglinien und allerlei Suchmaschinen, die die Preise vergleichen, kann jeder Otto-Normal-Verbraucher individuelle Reiseerlebnisse nach seinem persönlichen Geschmack und Budget planen.

Die Gründe, die Menschen dazu antreiben, eine Reise zu unternehmen, können sehr unterschiedlich sein. Manche treibt die Suche nach Selbstfindung, andere wollen einfach Spaß am Strand. Wieder andere erhoffen sich spirituelles Wachstum oder werden von der Neugierde auf fremde Kulturen angetrieben. Wer Glück hat, findet was er sucht.

Wandern in den Schottischen Highlands

Es kommt jedoch auch vor, dass der Trieb loszuziehen, eher eine Flucht vor etwas anderem ist. Manchmal ist ein Reisender jemand, der seiner Realität entflieht und fast schon zwanghaft immer neuen Anreizen nachgehen muss: Neue Kontinente erkunden, Tempel fremder Kulturen besuchen, neue Schriften lernen und unbekannte Aromen schmecken… Ständig gibt es etwas Neues, etwas Spannendes zu erleben. Klar, klingt das erstmal verlockend.

Außerdem bietet eine fremde Umgebung, wo niemand einen kennt, die perfekte Gelegenheit, sich neu zu erfinden. Mit jedem Menschen, den man trifft, entdeckt man eine neue Seite seiner selbst. Diese neuen Facetten können unbelastet von vorherigen Erfahrungen oder Vorurteilen ausgelebt werden. Allerdings kann man dabei auch leicht in einer Phase der permanenten Selbstfindung steckenbleiben.

Reisen bedeutet im Grunde, sich von seinem gewöhnlichen Wohnort zu lösen und sich einer unbekannten Umgebung auszusetzen. Reisen bildet, prägt, öffnet die Augen und den Geist und bringt einen mit anderen Realitäten in Berührung. Durch das Reisen wird man toleranter, besonnener und offener. In vielen Fällen hat es einen starken positiven Einfluss auf die persönliche Entwicklung.

Es ist jedoch auch wahr, dass das Reisen sich zu einem hoch kommerzialisierten und leicht zu konsumierenden Produkt entwickelt hat. Reisen als eine „Bucket-List“ von Orten oder Ländern, die man  abzuhaken hat. Zielorte, „Destinations“ und Sehenswürdigkeiten werden schnellstmöglich verschlungen. So viel wie möglich reisen und alles auf Social Media teilen – das scheint der Sinn und Zweck der Sache zu sein.

Der „Wanaka-Tree“ in Neuseeland ist ein klares Beispiel dafür. Es ist ein Baum in Wanaka, der keine besondere Geschichte oder Legende hat. Es ist einfach ein Baum vor einem See mit Bergen im Hintergrund. Zugegebenermaßen ergibt die Kulisse dahinter ein schönes Bild. Aber vor dem Baum sammeln sich jede Menge Menschen, weil sie genau diesen Wanaka Tree auf Instagram gesehen haben [und nun ihr eigenes Foto haben müssen],   obwohl es entlang der ganzen Promenade noch weitere Bäume gibt, die mit demselben Hintergrund fotografiert werden könnten.

Der Wert der „Instagramabilität“ sickert in unser Unterbewusstsein und ohne dass wir es überhaupt bemerken, bestimmt er die Wahl unserer Reiseziele und Erlebnisse. Ich will mich da gar nicht ausnehmen. Unser Smartphone begleitet uns überallhin, weil es eine Erweiterung unseres Selbsts ist, die uns ermöglicht, mit unserer Community in Verbindung zu bleiben, auch wenn wir gerade ganz allein am anderen Ende der Welt sind.

Lina wohnt im Tiny Temple of Wellbeing in Wanaka

Über die Auswirkung des Massentourismus habe ich schon in einem anderen Artikel geschrieben. Jetzt geht es mir um etwas anderes. Ich möchte über die andere Seite des Reisens schreiben, darüber wie schön es auch sein kann, einmal nicht unterwegs zu sein, sich zu Hause geborgen zu fühlen. Es geht mir darum, das Bild des Dauerreisenden zu entmystifizieren und auf den Boden der Realität zurückzubringen.

Einer der Gründe, warum ich es mir überhaupt leisten kann zu reisen, ist, dass ich keinen aktuellen Wohnsitz habe und  kein Auto besitze (was meine eigene Entscheidung ist, aber auch einen Verzicht darstellt, denn es bedeutet, gewisse Bequemlichkeiten nicht zu haben). Ich habe derzeit keine finanziellen Verpflichtungen, das heißt aber auch kein reguläres Einkommen, keine Stabilität. Wenn ich längere Zeit auf Reisen bin, komme ich mit einem sehr geringen Budget zurecht. Ich bin nie an luxuriösen Orten, sondern verbringe viele Nächte in Zelten oder geteilten Mehrbett-Hostelzimmern. Zur Fortbewegung nutze ich öffentliche Verkehrsmittel oder mein Fahrrad oder meine Füße – so oft wie möglich. Dabei versuche ich auch immer wieder, meine Fähigkeiten und meine Zeit gegen Unterkunft und Essen zu tauschen, ganz ohne Geld (so wie bei den freiwilligen Arbeiten, die mir ermöglicht haben, Portugal und Neuseeland zu erleben). Allerdings ist es doch auch sehr anstrengend, bei jeder kleinen Ausgabe überlegen zu müssen, wie sie die Weiterreise beeinflusst.

Für mich ist es Ok, teilweise auf alltägliche Annehmlichkeiten zu verzichten wie jederzeit duschen zu können, viele Klamotten zu haben, rund um die Uhr erreichbar zu sein oder in einem anständigen Bett zu schlafen. Ich kann ab und zu auch mit labberigen, faden Mahlzeiten auskommen und mir ein Zimmer mit schnarchenden Fremden teilen. Das kann ich deshalb, weil ich weiß, dass es nur vorübergehend ist, dass diese Umstände vergänglich sind. Aber auf Dauer will ich das nicht.

Seit einem Jahr lebe ich nun ohne ein festes Zuhause. Das war teilweise durch wechselnde Lebensumstände bedingt, teilweise war es eine bewusste Entscheidung. Und es ist bestimmt das, was ich in meiner Zeit in  Neuseeland am meisten vermisst habe und auch jetzt noch vermisse. Abgesehen davon, dass es sowieso schwer ist, an eine Wohnung zu kommen (Thema knapper Wohnraum und Mietverhältnisse in der Umgebung von Barcelona), ist es mir einfach wichtig, einen Ort zu haben, an dem ich mich zu Hause fühle. Einen Ort, zu dem ich immer wieder zurückkehren kann. Ein Basecamp. Es ist mir wichtig, ganz alltägliche Momente zu erleben, nicht immer aus dem Koffer oder Rucksack zu leben, der gut verstaut irgendwo liegt, sondern meine Kleidung in einem Schrank hängt. Ich sehne mich auch ein bisschen danach, den Ablauf des Alltags zu kennen, wenn man ganz entspannt ist, weil man weiß, wo man aufwachen wird, statt sich Gedanken um ein Dach über dem Kopf machen zu müssen. Die Vorhersehbarkeit von Dingen gibt Sicherheit und das bringt Frieden und Ruhe.

In Neuseeland habe ich viele Gemüse- und Blumengärten anderer Menschen besucht, in vielen Projekten mitgearbeitet, aber meine Zeit war immer begrenzt. Jedes Projekt, jeder Garten war nur vorübergehend „meins“. Mit der Gewissheit im Hinterkopf, dass ich bald wieder woanders sein würde, habe ich bestimmt viele Dinge gar nicht erst begonnen, einfach weil sie sich zeitlich nicht lohnten. Weil ich sowieso nichts von dem, was ich gesät hätte, wachsen sehen könnte, geschweige denn, es zu ernten.

lina echinacea parc dels olors

Der Zustand meines Gartens ist bestimmt der beste Ausdruck meiner seelischen Verfassung. Für mein persönliches Wohlbefinden brauche ich einen Ort, an dem ich etwas anpflanzen kann, an dem ich Verantwortung übernehme, pflege und ernte.

Was ich sagen will ist, dass, wenn man dauerhaft auf Reisen ist, beginnt man manche Dinge gar nicht, oder lässt sich nicht erst tiefer auf etwas ein, weil man sowieso bald weiterzieht. Für mich ist es wichtig, ein Zuhause zu haben, meinen eigenen Raum, einen Ort, der mir Geborgenheit und Sicherheit gibt, um Wurzeln schlagen zu können. Reisen kann uns in vielerlei Hinsicht bereichern. Aber den Koffer auch mal zu verstauen und an einem Ort Wurzeln zu schlagen, hilft uns zu Wachsen.

granatapfel

lina im garten